#nachhaltiges Bauen: Interview 1 – Natalie Schaller
Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen in „jüngerer“/derzeitiger Stadtentwicklung?
Gesellschaftliche Themen und Herausforderungen sind einem starken Wandel unterworfen. Der demografische Wandel, das Online-Shopping oder das gestiegene Umweltbewusstsein und der Wertewandel haben großen Einfluss auf die Stadtentwicklung. In der Vergangenheit war sie eine stark planerisch geprägte Disziplin.
Heute sind eine Vielzahl von Themen zu berücksichtigen und in die Planung zu integrieren. Parallel zur Planung ist es nun erforderlich Konzepte zu entwickeln, die über das hinausgehen, was Planung allein leisten kann. Stadtplanung ist also viel interdisziplinärer geworden und muss mit anderen Disziplinen kooperieren, um möglichst allen Anforderungen, die z.B. an ein zukunftsfähiges Quartier gestellt werden, gerecht zu werden.
Sollte sich dies auch bei der Zusammensetzung (beruflicher Hintergrund) der an einer gelungenen Stadtentwicklung Beteiligten niedergeschlagen ? Was macht Sie und die Stattbau München GmbH aus ?
Wir selbst beschäftigen uns zwar hauptsächlich mit Stadtplanung, sind aber kein Planungsbüro. Ergänzend zur Stadt- und Hochbauplanung entwickeln wir Quartierskonzepte. Planung ist hier zwar eine wichtige Grundlage, kann aber nur den baulichen Rahmen vorgeben; nicht aber die Inhalte, die in einer modernen Stadtentwicklung mitentwickelt werden müssen. Unsere Schwerpunkte sind hier Mobilität und Quartiersentwicklung. Unser Ziel ist es, dass in den Quartieren von Anfang an eine gute Nachbarschaft entsteht und sich nachbarschaftliche Strukturen wie in gewachsenen Vierteln entwickeln. Das passiert nicht von selbst, sondern muss geplant werden. Die Konzepte sind aber in der Regel integriert und können auch andere Themen wie Gewerbe oder Nachhaltigkeit mit einbeziehen.
Bei uns arbeiten neben Stadtplaner:innen und Architekt:innen, mehrheitlich andere Disziplinen wie auch Geographen, Soziologen oder Kulturwissenschaftler:innen.
Was kann man sich konkret unter einem Quartierskonzept vorstellen ?
Quartierskonzepte sind übergreifende Strategien, die im Idealfall verschiedene Akteure aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Bürgerschaft einbeziehen, um die Rahmenbedingungen für ein gutes Zusammenleben in einem bestimmten Gebiet oder Quartier zu gestalten. Die Inhalte variieren je nach lokalen Gegebenheiten und Bedürfnissen und beziehen sich daher auf so unterschiedliche Themen wie Mobilität, Gesundheit, Kultur, Bildung oder Umwelt. Bei unseren Konzepten liegt der Schwerpunkt auf einem Miteinander im Quartier. Das bedeutet zum Beispiel, alternative Mobilitätsangebote nicht mehr nur für das einzelne Haus, sondern für das ganze Quartier zu denken oder Gemeinschaftsräume anzubieten, die von allen Bewohnern eines Quartiers genutzt werden können. Um dies zu ermöglichen, bedarf es Strukturen, die sich beispielsweise um das langfristige Mobilitätsmanagement und die Evaluierung des Mobilitätskonzeptes kümmern. Hierfür müssen sowohl finanziell als auch organisatorisch tragfähige Strukturen aufgebaut werden. Neben der kooperativen Entwicklung der Inhalte kümmern wir uns auch um diese Umsetzbarkeit im Betrieb.
Was haben diese Quartierskonzepte mit „nachhaltiger Stadtentwicklung“ zu tun ?
Unsere Gesellschaft ist sehr konsumorientiert. Hier müssen wir das Bewusstsein dahingehend ändern, dass unsere Ressourcen endlich sind. Mit unseren Konzepten setzen wir auf Suffizienz, auf das Teilen von Dingen und Räumen. Es rechnet sich nicht nur für den Einzelnen, wenn er kein eigenes Auto oder Lastenrad braucht oder beispielsweise Gäste in der Gästewohnung des Quartiers statt im (sonst meist leer stehenden) Gästezimmer in der eigenen Wohnung übernachten können, sondern spart auch sehr viele Ressourcen. Ein Quartiersmanagement, das sich um die Buchbarkeit und Verwaltung der Gemeinschaftsräume kümmert, kann auch weitere Sharing-Projekte in der Bewohnerschaft unterstützen, Tauschbörsen, Leihstationen, Foodsharing, Repaircafé, etc. oder das Bewusstsein für nachhaltiges Handeln wie Mülltrennung oder Energieverbrauch schärfen. Hier setzen wir direkt beim Nutzerverhalten an, um durch gute Beispiele und Aktivierung zum Mitmachen zu motivieren.
Was macht die Planung / Entwicklung so herausfordernd ?
Alles, was wir tun, ist noch nicht etabliert; es gibt keine Blaupause. Jede Entwicklung hat andere Themen, andere Herausforderungen und braucht neue Lösungen. Das zu entwickeln braucht Zeit und ist viel Arbeit. Wir können und wollen kein fertiges Konzept aus der Tasche ziehen. Hier stoßen wir oft auf Unverständnis, denn Mobilitätskonzepte, Gemeinschaftsräume und Quartiersmanagement sind in aller Munde und als Schlagwort in fast jeder Entwicklung eingeplant. In der Umsetzung gibt es noch nicht viele Beispiele. Hier bedarf es der Mitwirkung aller Beteiligten, auch des Bauherrn, aber auch von Steuerberatern und Juristen, die mit uns und unseren Bauherren geeignete Betreiber- und Finanzierungsmodelle entwickeln.
Können bestehende Gebäudekomplexe durch Sanierung und Anpassung der Infrastruktur realistisch und wirtschaftlich in eines der von Ihnen beschriebenen Quartiere „umgewandelt“ werden ?
Gerade in der Bestandserneuerung liegt der größte Hebel für Nachhaltigkeit. Neben der energetischen Sanierung und der barrierefreien Ertüchtigung des Bestandes bieten diese Quartiere häufig Nachverdichtungspotenziale. Hier kann neben einem Mobilitätskonzept ein gutes Nachbarschaftskonzept und Quartiersmanagement helfen, Mehrwerte für die Bewohner:innen zu generieren, Akzeptanz für die Entwicklung zu schaffen, das nachbarschaftliche Miteinander zu verbessern und ökologisches Bewusstsein zu fördern.
Können Sie ein Beispiel für ein erfolgreiches Quartier nennen und welche Faktoren maßgeblich dazu beigetragen haben ?
Als Beispiel für eine städtische Entwicklung würde ich den Prinz-Eugen-Park in München nehmen. Hier ist vieles gemeinsam gelungen und umgesetzt worden. Vom Mobilitätskonzept über die quartiersübergreifende gemeinschaftliche Nutzung von Räumen bis hin zur Gründung einer Quartiersgenossenschaft aus der Bewohnerschaft heraus. Diese hat das Quartiersmanagement übernommen, welches durch Stadt und Bauherren finanziert wird. Bei der Nachverdichtung bin ich gespannt auf Fürstenried West, wo Sanierung und Nachverdichtung mit einem Mobilitäts- und Quartierskonzept verknüpft werden. Bei der Neuentwicklung durch Investoren werden die Kirschgärten sicher in vielerlei Hinsicht ein Vorzeigeprojekt werden.
Ansprechpartner: Dr. Tanja Brunner