Novelle der Bayerischen Bauordnung 2018

Zum 01.09.2018 ist eine Änderung der Bayerischen Bauordnung in Kraft getreten, die nicht nur wegen des novellierten Bauprodukterechts sondern insbesondere wegen Änderungen des Abstandsflächenrechts von nicht unerheblichem Interesse für die immobilienwirtschaftliche Praxis sein dürfte.

Der Bayerische Landtag hat am 26.06.2018 das „Gesetz zur Änderung der Bayerischen Bauordnung und weiterer Rechtsvorschriften“ beschlossen. Die Änderungen sind zum 01.09.2018 in Kraft getreten. Neben umfassenden Änderungen im Bauprodukterecht, die aus europarechtlichen Gründen erforderlich wurden, sind praxisrelevant insbesondere die Gesetzesänderungen zum Abstandsflächenrecht.

Von großem Interesse dürfte die in der Gesetzesbegründung enthaltene Erläuterung sein, dass für eine Abweichung von Abstandsflächenrecht nach Art. 63 Bayerische Bauordnung (BayBO) eine Atypik nicht (mehr) erforderlich ist.

Werden die Anforderungen an die Einhaltung von Abstandsflächen durch ein Gebäude nicht erfüllt, ist das Gebäude baurechtswidrig. Dieser rechtswidrige Zustand kann durch die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 BayBO behoben werden. Neben der Einhaltung des Schutzzweckes des Abstandsflächenrechts fordert(e) die Rechtsprechung in Bayern hierfür das Vorliegen einer sog. Atypik. Nur dann konnte eine Abweichung rechtmäßig und insbesondere von Nachbarn unanfechtbar erteilt werden. Da das Merkmal der Atypik nicht im Gesetz geregelt ist, gibt dieses auch keinerlei Anhalt dafür, wann eine solche vorliegt. Maßgeblich waren daher allein die von der Rechtsprechung festgelegten Parameter. Die Rechtsprechung bejahte eine entsprechend atypische Grundstückssituation bspw. bei einem besonderen Zuschnitt des Grundstücks, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder Nachbargrundstück, aus Gründen des Denkmalschutzes oder städteplanerischen Erwägungen, wie der Sicherung eines gewachsenen Stadtbildes. Auch die Lage in einem eng bebauten historischen Ortskern kann eine atypische Grundstückssituation begründen. Ob eine für moderne Großstädte typische enge innerstädtische Bebauung allein für die Annahme einer Atypik genügte, ohne dass daneben denkmalschutzrechtliche Erwägungen oder bspw. in ungewöhnlichen Winkeln zueinander stehende Grundstücksgrenzen erforderlich sind, war nur schwer zu prognostizieren. Das Merkmal der Atypik, dessen Definition schwammig und nicht gesetzlich geregelt ist, bildete daher (neben weiteren Parametern) ein „Einfallstor“ für Unwägbarkeiten sowohl für Bauherren als auch Nachbarn und konnte zu erheblichen Beschränkungen der Nutzung des Eigentums führen.

Nach der Idee des Gesetzgebers soll nach der Gesetzesänderung die Erteilung einer Abweichung von Abstandsflächenrecht ohne das Erfordernis einer Atypik möglich und rechtmäßig sein. Dies ergebe sich aus dem neu eingefügten Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO, der dies ausdrücklich klarstelle.

Ein klares Statement des Gesetzgebers. Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO lautet jedoch lediglich „Art. 63 bleibt unberührt“. Es bleibt daher abzuwarten, ob die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung diesem gesetzgeberischen Willen tatsächlich Folge leisten und künftig vom Erfordernis des ungeschriebenen Tatbestandsmerkmales „Atypik“ absehen wird. Im Hinblick auf die Wahrung des grundgesetzlich verankerten Grundsatzes der Gewaltenteilung, wonach die Rechtsprechung u.a. nicht gesetzgeberisch tätig werden darf, ist dies erstrebenswert und zu erwarten.

Daneben enthält die Gesetzesnovelle weitere, kleinere Änderungen zum Abstandsflächenrecht. So soll die Abstandsflächentiefe auch bei dem relativ neu gesetzlich verankerten Baugebietstyp „Urbanes Gebiet“ 0,5 h betragen, mindestens jedoch 3 m. Eine klarstellende Regelung trifft der Gesetzgeber überdies hinsichtlich der Abstandsflächenrelevanz von Balkonen und Erkern. Untergeordnete Vorbauten, Balkone und Erker bleiben bis zu einer Summenbegrenzung von einem Drittel der Breite der Außenwand bei der Bemessung von Abstandsflächen außer Betracht. Dies gilt für Vorbauten bis zu einer Breite von jeweils 5 m. Abstandsflächenrecht ist nach der Novelle nunmehr zudem wieder genereller Prüfungsgegenstand im Baugenehmigungsverfahren, d.h. sowohl dessen Einhaltung als auch das Vorliegen der Voraussetzungen einer Abweichung.

RAin Dr. Tanja Brunner